Potsdam. Das Corpus Delicti hat 170 PS, Klimaanlage und alle gängigen Extras, der Tacho steht bei 100 000 Kilometer – ein Skoda Superb, der vor sechs Jahren 39 000 Euro gekostet hat. Um dieses Auto gibt es einen Rechtsstreit, der deutschlandweit seinesgleichen sucht: Der Besitzer, Bastian Brehmer (35) aus Dabendorf bei Zossen (Teltow Fläming), hat das Autohaus Volkswagen Automobile Berlin GmbH verklagt, weil er sich im Zuge der Abgasaffäre getäuscht sieht. Was den Fall so besonders macht: Brehmer möchte nicht eine Nachrüstung oder finanzielle Zugeständnisse heraushandeln, er will ein komplett neues Auto. Damit scheiterte er am Freitag in erster Instanz vor dem Berliner Landgericht. Richter Michael Vaterrodt wies die Klage ab, Bremers Anwalt Thomas Schmidt kündigte Rechtsmittel an.
Jede Menge Prozesse wegen Schummel-Software
Das Landgericht München sprach im Mai einem Seat-Käufer das Recht auf Rückabwicklung des Kaufvertrags zu. Der angeblich saubere Motor sei Kaufargument gewesen, so das Gericht.
Wegen des Einsatzes von Software zur Manipulation der Abgaswerte sieht sich der VW-Konzern mit Schadenersatzklagen in Milliardenhöhe konfrontiert. In den USA muss der Konzern, zu dem neben VW Audi, Porsche, Seat, Skoda und Bugatti gehören, vermutlich 15 Milliarden Doller Schadenersatz zahlen. In Deutschland liegen mindestens 1400 Anleger-Klagen vor.
Als Systemadministrator arbeitet Bastian Brehmer in der Zossener Kreisverwaltung. Weil er beruflich oft Schnellstraße fährt und drei Kinder hat, entschied er sich im Jahr 2010 für das große Skoda-Modell. „Meine Frau und ich haben uns ein bisschen in den Wagen verliebt“, sagt der Familienvater. Deshalb trage die Auseinandersetzung mit Volkswagen, der Muttergesellschaft der Firma Skoda, jetzt Züge einer enttäuschten Liebe. Brehmers größte Sorge: Der Wiederverkaufswert des Fahrzeuges liege angesichts der betrügerischen Einrichtungen im Abgassystem deutlich unter dem zur Zeit des Kaufs erwartbaren. „Man wird das Auto wie einen Unfallwagen behandeln“, sagt Brehmer. Das wäre finanziell ein Schlag für die Familie, die einen Kredit aufgenommen hatten, um den Kauf des Skoda mit der Zwei-Liter-Dieselmaschine zu finanzieren.
Eine Nachrüstung, wie sie Skoda auf eigene Kosten anbietet, hält Brehmer für nicht ausreichend: „Man liest viel von Folgeschäden und ich kann mir nicht vorstellen, dass nach einer Nachrüstung Verbrauch Leistung und Fahrgeräusche die gleichen sind wie zuvor.“
Beklagtes Autohaus verweist auf Nachrüstungs-Offensive
Der Anwalt des Autohauses, Alexander Tillack, sagt: „Wir setzen konsequent auf Nachrüstung.“ Auf Anregung des Richters äußerte er zwar, man könne sich „ein Kompensationsgeschäft vorstellen“, die Bereitstellung eines neuen Wagens schließt er aber kategorisch aus. Was den Fall zusätzlich kompliziert macht: Das zur Debatte stehen Fahrzeug gehört nicht mehr zur aktuellen Baureihe.
Richter Vaterrodt sorgte beim Kläger für Ernüchterung mit der Bemerkung: „Sechs Jahre sind Sie mit dem Auto gefahren und wollen nun ein neues. Das kann so nicht sein – das müsste ihnen klar sein.“ Die Forderung sei unangemessen. Zudem, so urteilte der Richter, sei der Mangel nicht erheblich. Von dem Einbau der in die Kritik geratenen Software trage der Kläger keinen Schaden davon. Das Auto funktioniere so wie zur Zeit des Kaufs. Von Täuschung können also nicht die Rede sein.
Richter: Forderung nach Neuwagen ist unangemessen
Am Ärger sei außerdem nicht der verklagte Händler, sondern der Hersteller schuld. Dagegen argumentiert Anwalt Schmidt, das Autohaus – ehemals Eduard Winter – gehöre zu 100 Prozent Volkswagen. Zum Richter sagte Schmidt: „Es wäre mutig, wenn Sie hier ein Stück Rechtsgeschichte schreiben würden.“ Die neue europäische Rechtsprechung sei deutlich verbraucherfreundlich und sehe auch den Ersatz mangelhafter Produkte durch neuwertige vor. Über den Richterspruch sei er nicht verwundert, bemerkt Schmidt: „Das Gericht ist hoffnungslos überlastet. Schon unsere Akte hat 1500 Seiten. Ich habe nicht den Eindruck, dass man sich in einer solchen Situation mit Volkswagen anlegen will.“
Verärgert zeigt sich nach dem Prozess Kläger Brehmer. „Für die Verbraucher ist das sehr unschön, zumal die Volkswagen-Vorstände zur gleichen Zeit Millionen Euro einstreichen.“
Von Ulrich Wangemann